Abrechnungsbetrug

Unter den Begriff Abrechnungsbetrug werden verschiedene Erschei­nungs­for­­men des Betruges im Bereich der Gesundheitsversorgung gefasst. Maß­geb­liche Rechts­vorschrift ist § 263 StGB. Dem Vorwurf des Abrech­nungs­be­truges können sich neben Ärzten, Zahnärzten oder Krankenhäusern auch sämt­liche anderen Leistungserbringer des Gesundheitswesens, etwa Apotheker, Psychotherapeuten, Physiotherapeuten, Ergotherappeuten, Logopäden etc. ausgesetzt sehen.

Anknüpfungspunkt des strafrechtlichen Vorwurfs ist dabei stets, dass bewusst mittels Täuschung die Vergütung für nicht erbrachte Leistungen erschlichen wird. Nicht erbracht in diesem Sinne kann eine Leistung schon sein, wenn sie nicht vollständig, nicht richtig oder trotz persönlicher Leistungspflicht nicht selbst erbracht wurde.

Die Relevanz der Thematik hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen, die Anzahl eingeleiteter Ermittlungsverfahren ist stetig gestiegen. Dem steht ein kompliziertes – sich ständig wandelndes – ärztliches Abrechnungssystem gegenüber, dessen Regeln inhaltlich selten durch Präzision glänzen. Das Risiko formaler inhaltlicher Fehler in der Abrechnung ist vor diesem Hintergrund auch bei gewissenhaften Leistungserbringern existent.

Ein strafechtlich relevanter Abrechnungsbetrug liegt aber nur vor, wenn sämtliche Voraussetzungen des § 263 StGB vorliegen. Eine Strafbarkeit kommt also nur in Betracht, wenn der objektive und subjektive Tatbestand des § 263 StGB erfüllt ist.

In objektiver Hinsicht müssen also die Tatbestandsmerkmale Täuschung, Irrtum, Vermögensverfügung und Vermögensschaden vorliegen. Auf subjektiver Seite muss Vorsatz und Bereicherungsabsicht gegeben sein.

Täuschung & Irrtum

Tathandlung des Abrechnungsbetruges ist stets eine Täuschung. Im Be­reich des ärztlichen Abrechnungsbetruges kommt hierfür die Abrechnung so­wohl privatärztlicher als auch kassenärztlicher bzw. vertragsärztlicher Leis­tungen in Betracht. Eine mögliche Täuschungshandlung wird entweder im Zusenden der Rechnung an den Privatpatienten oder im Einreichen der Ab­rech­nungs­unterlagen in Form der Sammelerklärung bei der Kassenärztlichen Vereinigung gesehen. Eine Täuschung ist nur über Tatsachen, nicht aber über Rechtsauffassungen oder Werturteile möglich. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs behauptet ein abrechnender Arzt mit der Abrechnung nicht nur, zur Abrechnung berechtigt zu sein, sondern zumindest sinngemäß mit, dass die tatsächlichen Voraussetzungen der der Abrechnung zugrundeliegenden Rechtsvorschriften eingehalten worden seien. Ist dies aber nicht der Fall, kann sich der Vorwurf der Täuschung – zunächst in objektiver Hinsicht – ergeben.

„Auch soweit der Angeklagte (…) nicht selbst erbrachte ärztliche Leistungen als eigene hat abrechnen lassen, behauptete er nicht lediglich, zu deren Abrechnung berechtigt zu sein, sondern auch (…), dass die Voraussetzungen der der Abrechnung zugrundeliegenden Rechtsvorschriften eingehalten worden seien. Dies entspricht gefestigter Rechtsprechung zum Abrechnungsbetrug bei Vertragsärzten (…), für privatliquidierende Ärzte gilt nichts anderes. Wer eine Leistung einfordert, bringt damit zugleich das Bestehen des zugrunde liegenden Anspruchs (…), hier also die Abrechnungsfähigkeit der in Rechnung gestellten ärztlichen Leistung zum Ausdruck (…).“

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25. Januar 2012, Az. 1 StR 45/11

Aufgrund dieser Täuschung muss es zu einem Irrtum kommen. Hierunter wird eine von der Wirklichkeit abweichende Fehlvorstellung verstanden. Der Irrtum ist das Spiegelbild zur Täuschung. Er muss durch diese „erregt“ worden sein und kommt damit wieder nur über Tatsachen in Betracht. Bei der privatärztlichen Liquidation kann entweder der Patient oder der Sachbearbeiter der Krankenversicherung irren, bei der vertragsärztlichen Quartalsabrechnung der Sachbearbeiter der Kassenärztlichen Vereinigung bzw. derjenige der Krankenkasse. Die Anforderungen, die die Rechtsprechung stellt, um das Vorliegen eines Irrtums zu unterstellen sind dabei nicht sehr hoch: Es ist nicht notwendig, dass sich Patient oder Sachbearbeiter über jeden einzelnen Abrechnungsposten eine bestimmte Vorstellung macht. Es genügt vielmehr die Annahme, die Abrechnung sei insgesamt in Ordnung.

„Bei einem standardisierten, auf Massenerledigung angelegten Abrechnungsverfahren ist es nicht erforderlich, dass der jeweilige Mitarbeiter hinsichtlich jeder einzelnen geltend gemachten Position die positive Vorstellung hatte, sie sei der Höhe nach berechtigt; vielmehr genügt die stillschweigende Annahme, die ihm vorliegende Abrechnung sei insgesamt „in Ordnung“ (…). Daher setzt ein Irrtum nicht voraus, dass tatsächlich eine Überprüfung der Abrechnungen im Einzelfall durchgeführt wurde.“

Bundesgerichtshof, Urteil vom 22. August 2006, Az. 1 StR 547/05

Vermögensverfügung & Vermögensschaden

Als Vermögensverfügung wird jedes Verhalten gesehen, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt. Beim selbst zahlenden Patient mindert sich dessen Vermögen mit der Zahlung der Rechnung. Steht hinter dem Patienten eine private Krankenversicherung, mindert sich deren Vermögen. Etwas komplizierter verhält es sich im vertragsärztlichen Bereich. Wer hier im Sinne des § 263 StGB verfügt, hängt von der konkreten Abrechnungskonstellation ab. Es verfügt entweder die Kassenärztliche Vereinigung oder die Krankenkasse. Die Vermögensminderung tritt hingegen bei den korrekt abrechnenden übrigen Vertragsärzten ein, weil sich der Punktwert über den gesteigerten Leistungsbedarf mindert.

Die Vermögesminderung muss schließlich als Vermögensschaden zu bewerten sein. Ein solcher liegt nach der Rechtsprechung normalerweise dann vor, wenn der Vermogensminderung kein entsprechendes wirtschaftliches Äquivalent gegenübersteht. Es findet eine Saldierung statt. Im Bereich von sogenannten Luftleistungen, also wenn die abgerechnete Leistung nicht (zumindest nicht vollständig) erbracht wurde, liegt ein Vermögensschaden auf der Hand: Der Zahlung steht keine entsprechende Gegenleistung gegenüber. Der Bundesgerichtshof legt hier jedoch einen weiten Maßstab an und nimmt das Vorliegen eines Vermögensschadens auch in Fällen an, die juristischen Laien schwer zu vermitteln sind. Ein Vermögensschaden wird unter Umständen selbst dann angenommen, wenn eine Leistung erbracht wurde, die unter medizinischen Gesichtspunkten nicht zu beanstenden ist, jedoch formale Voraussetzungen nicht eingehalten wurden. Der Bundesgerichtshof knüpft hier an die streng formale Betrachtungsweise des Sozialversicherungsrechts an. Nach dieser ist eine Leistung insgesamt nicht erstattungsfähig, wenn sie in Teilbereichen nicht den gestellten Anforderungen genügt.

„Bei der Berechnung des Schadensumfanges geht das Landgericht zunächst zu Recht davon aus, daß auch für den Bereich nichtärztlicher Leistungen der den Krankenkassen entstandene Schaden in voller Höhe den dem Angeklagten erstatteten Beträgen entspricht. Dem steht nicht entgegen, daß Leistungen sowohl von dem Angeklagten (…) als auch von dem von ihm beauftragten Hilfspersonal (…) in weitem Umfang erbracht worden sind. Dies beruht auf einer für den Bereich des Sozialversicherungsrechts geltenden streng formalen Betrachtungsweise, nach der eine Leistung insgesamt nicht erstattungsfähig ist, wenn sie in Teilbereichen nicht den gestellten Anforderungen genügt (…).“

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28. September 1994, Az. 4 StR 280/94

Nach dieser Sichtweise wird eine Leistung – unabhängig davon, ob sie in medizinischer Hinsicht einwandfrei erbracht wurde – wegen des Verstoßes gegen rechtliche Regelungen als wertlos angesehen. Völlig zu Recht ist diese Auffassung der Rechtsprechung beständiger Kritik ausgesetzt. Dennoch wendet der Bundesgerichtshof sie seit geraumer Zeit auch auf privatärztliche Abrechnungen nach der GOÄ an.

„Für privatärztliche Leistungen, für die es weder einen Verkehrswert noch einen (objektiven) Markt oder einen von den Vertragsparteien frei zu vereinbarenden Preis gibt, bestimmen die materiell-rechtlichen Normen zur Abrechenbarkeit der Leistung, namentlich der GOÄ, zugleich deren wirtschaftlichen Wert. Ist etwa eine Behandlungsleistung zwar erbracht, gilt sie aber als mit einer anderen Leistung abgegolten, kommt ihr kein eigener wirtschaftlicher Wert zu, mag auch der Patient, hätte er die Leistung alleine bezogen, daraus resultierende Aufwendungen gehabt haben. In dem Umfang, in dem die Rechtsordnung einer privatärztlichen Leistung die Abrechenbarkeit versagt, weil etwa die für die Abrechenbarkeit vorgesehenen Qualifikations- und Leistungsmerkmale nicht eingehalten sind, kann ihr kein für den tatbestandlichen Schaden i.S.v. § 263 StGB maßgeblicher wirtschaftlicher Wert zugesprochen werden.“

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25. Januar 2012, Az. 1 StR 45/11

Nachvollziehbar ist dieser Ansatz kaum. Eine nach den Regeln der ärztlichen Kunst erbrachte Leistung ist nach den üblicherweise angewandten Maßstäben nicht als wertlos anzusehen. Schließlich wird eine Konsultation eines anderen Arztes (der die formalen Voraussetzungen einhält), die ohnehin angestanden hätte, erspart. Patient oder Krankenkasse werden von dieser Notwendigkeit befreit.

Insbesondere vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts können normative Erwägungen bei der Schadensbestimmung zwar eine Rolle spielen, dürfen aber wirtschaftliche Erwägungen nicht verdrängen.

„Ein Vermögensnachteil im Sinne des § 266 StGB setzt zwingend einen Vergleich zweier Vermögenslagen voraus, bei dem sich eine Differenz ergeben muss. Die Untreue stellt ein reines Verletzungserfolgsdelikt dar, das ein Erfolgsunrecht voraussetzt. Beim Rechtsgut des Vermögens als Bezugspunkt des anzustellenden Vergleichs handelt es sich nicht um einen der sinnlichen Wahrnehmung unmittelbar zugänglichen Gegenstand, sondern um eine wirtschaftliche Größe, deren Umfang zu einem bestimmten Zeitpunkt sich erst aus einer Bewertung ergibt. In deren Rahmen bedarf es der Entscheidung, welche Vermögenspositionen in die Wertbestimmung einfließen und wie deren Wert zu ermitteln ist. Hierbei können normative Erwägungen eine Rolle spielen. Sie dürfen aber, soll der Charakter der Untreue als Vermögensdelikt und Erfolgsdelikt bewahrt bleiben, wirtschaftliche Überlegungen nicht verdrängen. So kann beispielsweise die Verwendung des anvertrauten Vermögens zu verbotenen Zwecken nicht per se als nachteilsbegründend angesehen werden; vielmehr bleibt es auch in solchen Fällen erforderlich, zu prüfen, ob das verbotene Geschäft – wirtschaftlich betrachtet – nachteilhaft war. (…)“

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 23. Juni 2010, Az. 2 BvR 2559/08, 2 BvR 105/09, 2 BvR 491/09

Diesen Maßstab hat das Bundesverfassungsgericht zunächst im Rahmen der Untreue nach § 266 StGB aufgestellt und in einer späteren Entscheidung auch im Rahmen des Betruges nach § 263 StGB angewandt.

„Zur Verhinderung der Tatbestandsüberdehnung muss, von einfach gelagerten und eindeutigen Fällen (…) abgesehen, der Vermögensschaden der Höhe nach beziffert und dies in wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise in den Urteilsgründen dargelegt werden (…). Bestehen Unsicherheiten, so kann ein Mindestschaden im Wege einer tragfähigen Schätzung ermittelt werden (…). Normative Gesichtspunkte können bei der Bewertung von Schäden eine Rolle spielen; sie dürfen die wirtschaftliche Betrachtung allerdings nicht überlagern oder verdrängen (…).“

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 7. Dezember 2011, Az. 2 BvR 2500/09, 2 BvR 1857/10

Für die streng formale Betrachtungsweise des Sozialversicherungsrechts, die von den Strafgerichten sogar als solche bezeichnet wird, bleibt hiernach eigentlich kein Raum. Es ist jedoch nicht abzusehen, dass der Bundesgerichtshof mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von seiner Linie abweicht. Eine schwache Hilfe ist da, dass zumindest im Bereich der GKV im Rahmen der Strafzumessung auch nach Auffassung des Bundesgerichtshofs berücksichtigt werden muss, wenn eine formal fehlerhaft erbrachte Leistung medizinisch nicht zu beanstanden ist.

„Auch eine Kompensation in der Form, daß die Krankenkassen infolge der von dem Angeklagten beziehungsweise seinen Helferinnen erbrachten Leistungen Aufwendungen erspart haben, die ihnen bei Inanspruchnahme eines anderen Arztes durch die vom Angeklagten behandelten Patienten entstanden wären, findet im Rahmen der Schadensberechnung nicht statt. Dieser beachtliche Umstand muß jedoch im Rahmen der Strafzumessung in angemessener Weise zugunsten des Angeklagten berücksichtigt werden.“

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28. September 1994, Az. 4 StR 280/94

„Zum Strafausspruch hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Das Landgericht hat bei der Strafzumessung insbesondere erheblich zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, daß er fachgerechte ärztliche Behandlungen durchgeführt und objektiv die abgerechneten Leistungen tatsächlich erbracht hat.“

Bundesgerichtshof, Urteil vom 5. Dezember 2002, Az. 3 StR 161/02

Im Bereich privatärztlicher Liquidation hat der Bundesgerichtshof diese Frage bisher ausdrücklich offengelassen, jedoch die Tendenz angedeutet, dort eine andere Auffassung zu vertreten.

„Ob darüber hinaus bei der Strafzumessung in Fällen zu Unrecht abgerechneter ärztlicher Leistungen der Umstand tatsächlich erbrachter Leistungen und hierzu entstandener Aufwendungen strafmildernd berücksichtigt werden muss (…), oder ob – wozu der Senat neigt – sich dies im Bereich privatärztlicher Liquidation schon deswegen verbietet, weil hier die „Bereicherung“ des Opfers dessen Schaden gerade nicht kompensiert und der Täter eigenmächtig und auf strafbare Weise den Ausgleich, den er materiell-rechtlich nicht beanspruchen kann, herbeiführt, bedarf keiner abschließenden Entscheidung.“

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25. Januar 2012, Az. 1 StR 45/11

Die derzeit herrschende Rechtsprechung macht deutlich, wie ausufernd der objektive Tatbestand des Betruges mittlerweile im Bereich ärztlicher Abrechnungen (ebenso wie bei Rechnungen anderer Leistungserbringer im Gesundheitswesen) angewandt wird. Die Grenzen zwischen zulässiger Abrechnungsoptimierung, Falschabrechnung und Abrechnungsbetrug sind fließend.

Vorsatz & Bereicherungsabsicht

Eine inhaltlich falsche Abrechnung führt bei Anlegung obiger Maßstäbe schnell dazu, dass der objektive Tatbestand des Betruges angenommen wird. Für eine Strafbarkeit ist aber außerdem Vorsatz und die Absicht, sich oder anderen einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen notwendig. Einen fahrlässigen Betrug kennt das deutsche Strafrecht nicht. Fahrlässige Falschabrechnungen, die versehentlich erfolgen oder auf einem Irrtum beruhen, sind berufs-, disziplinar-, zivil- oder sozialrechtlich relevant, einen strafbaren Abrechnungsbetrug stellen sie hingegen nicht dar.

Das macht deutlich, dass die subjektive Seite des Abrechnungsbetruges, also die inneren Vorstellungen und Motivationen des abrechnenden Arztes, regelmäßig die Schlüsselrolle bei der Abgrenzung einer fahrlässigen Falschabrechnung und einem strafbaren Abrechnungsbetrug spielen. Nicht selten liegt hier auch der zentrale Anknüpfungspunkt für eine effektive Verteidigung gegen den Vorwurf des Abrechnungsbetruges.

Den Strafverfolgungsbehörden muss nämlich der Beweis gelingen, dass Patienten, Kassenärztliche Vereinigung oder Krankenkasse bewusst getäuscht wurden. Der Arzt muss in dem Bewusstsein gehandelt haben, dass er auf die Vergütung keinen Anspruch hat. Dies zu beweisen ist für die Strafverfolgungsbehörden deutlich schwieriger, als die Feststellung einer objektiv unzutreffenden Abrechnung, da es sich hierbei um die innere Tatseite handelt.

Die Hürde darf aber auch nicht überschätzt werden. Für das Vorliegen des Vorsatzes ist es ausreichend, wenn die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes billigend in Kauf genommen wird, der Arzt bzw. Leistungserbringer sie also nur für gut möglich hält.

Etwas höhere Anforderungen werden an die Absicht rechtswidriger Bereicherung gestellt, ohne die ein strafbarer Abrechnungsbetrug ebenfalls ausscheidet. Hierfür muss dem Leistungserbringer nachgewiesen werden, dass er bewusst objektiv falsch abgerechnet hat und die Zahlung tatsächlich nicht zusteht.

Zum Beweis für das Vorliegen dieser subjektiven Voraussetzungen können die Strafverfolgungsbehörden auf ein Geständnis des Leistungserbringers, auf dessen Aufzeichnungen bzw. Unterlagen oder auf Aussagen von Angestellten oder Patienten, etwa über über das Verhalten oder Äußerungen des Beschuldigten zurückgreifen, um hierdurch Rückschlüsse auf die innere Tatseite zu erzielen.

Vernehmung & Durchsuchung

Die Effizienz einer Verteidigung gegen den Vorwurf des Abrechnungsbetruges hängt daher ganz wesentlich auch mit dem Aussageverhalten des Arztes (bzw. Leistungserbringers) zusammen. Erliegt der Beschuldigte hier überrumpelt von dem strafrechtlichen Vorwurf unbedacht der Versuchung, sich möglichst frühzeitig rechtfertigen zu wollen, besteht ein hohes Risiko, dass er sich durch unglückliche oder missverständliche Äußerungen in eine ungünstige Lage versetzt, die nur noch schwer zu verbessern ist.

Dies gilt auch für das Verhalten bei Praxisdurchsuchungen, mittels derer die Strafverfolgungsbehörden sich die Sicherstellung aussagekräftigen Materials, wie etwa der Praxisdokumentation, erhoffen. Auch hier neigen insbesondere Ärzte – überrascht und erschrocken durch die belastende Situation und den Vorwurf, der oft als absurd empfunden wird – zu übermäßiger Mitarbeit bei der Durchsuchung und unglücklichen Rechtfertigungsversuchen im Rahmen informatorischer Befragungen. Hier werden ebenfalls oft Rechtsfehler begangen, die zuweilen kaum zu korrigieren sind. Äußerungen im Rahmen informatorischer Befragungen finden Eingang in die Ermittlungsakte und können von den Strafverfolgungsbehörden genutzt werden. Für eine erfolgreiche Verteidigung ist aber eine genaue Kenntnis des Tatvorwurfs und der Ermittlungsakte nötig. Erst wenn dies gegeben ist, kann eine sinnvolle Einlassung zur Sache erwogen werden.

Ein Schuldeingeständnis stellt die Zurückhaltung gegenüber Polizei und Staatsanwaltschaft keineswegs dar. Ein wesentlicher Grundsatz des Strafverfahrens lautet nemo tenetur se ipsum accusare (sinngemäß: Niemand ist gehalten sich selbst zu belasten). Dieser Grundsatz schlägt sich etwa in dem Schweigerecht des Beschuldigten nieder. Von diesem Gebrauch zu machen kann dem Beschuldigten nicht zum Nachteil ausgelegt werden und schneidet auch nicht das Recht ab, sich nach Akteneinsicht doch noch zu den Vorwürfen zu äußern. Auch Praxis- oder Krankenhausmitarbeitern, die als Zeugen befragt werden, steht ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO bezüglich solcher Fragen zur Seite, mit deren Beantwortung sie sich selbst belasten würden. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn die Abrechnungen durch Mitarbeiter erstellt wurden, was als Beihilfe zum Abrechnungsbetrug gewertet werden könnte.

Auch bei Durchsuchungen besteht zwar eine Verpflichtung, diese zu dulden. Eine Mitwirkungspflicht besteht hingegen nicht. Eine zurückhaltende Kooperation mit den durchsuchenden Beamten kann dennoch sinnvoll sein. So kann etwa die Mitteilung, wo sich gesuchte Gegenstände befinden, verhindern, dass die gesamte Praxis „umgekrempelt“ wird. Seine Grenze findet diese Mitwirkung aber eindeutig in der freiwilligen Herausgabe der Gegenstände. Hiervon ist grundsätzlich dringend abzuraten. Die Strafverfolgungsbehörden müssen diese förmlich beschlagnahmen.

Dies dient nicht nur der Vermeidung von Rechtsnachteilen. Ein solches Verhalten trägt auch schlicht den ärztlichen Berufspflichten und der Vermeidung von Straftaten Rechnung. Ärzte unterliegen der Schweigepflicht, sie sind Berufsgeheimnisträger. Ohne Einwilligung ihrer Patienten sind sie nicht berechtigt, diese betreffende Informationen herauszugeben. Daraus folgt auch das Beschlagnahmeprivileg des § 97 Abs. 1 Nr. 1bis 3 StPO. Hiernach unterliegen etwa sämtliche Krankenunterlagen nicht der Beschlagnahme. Dies gilt zwar nach § 97 Abs. 2 StPO nicht, wenn der Arzt Verdächtiger einer Straftat ist (wie etwa eines Abrechnungsbetruges). Trotzdem sollte auf einer förmlichen Beschlagnahme bestanden werden, weil eine Entbindung von der Schweigepflicht nicht erfolgt sein dürfte. Die Verletzung der Schweigepflicht, also die freiwillige Herausgabe der Krankenunterlagen, kann ansonsten zu einer Strafbarkeit wegen der Verletzung von Privatgeheimnissen nach § 203 StGB führen.

Verteidigung

Es ist in jedem Fall anzuraten, so früh wie möglich einen Strafverteidiger hinzuzuziehen. Gleichgültig, ob der Arzt (oder sonstige Leistungserbringer) durch eine Vorladung, eine Durchsuchung der Praxisräume oder auf sonstige Weise von gegen ihn gerichteten Ermittlungen wegen des Verdachts des Abrechnungsbetruges erfährt, die erste Handlung sollte stets die Kontaktaufnahme zu einem Rechtsanwalt sein. Dieser sollte nicht nur strafrechtlich versiert sein, sondern sich auch im Medizinrecht, insbesondere dem Abrechnungsrecht, dem ärztlichen Standes- und Berufsrecht und ggf. dem Vertragsarztrecht auskennen. Viele Strafverfahren wegen Abrechnungsbetruges haben ihren Ursprung in Verfahren zur Plausibilitätsprüfung der Kassenärztlichen Vereinigungen.

Bevor Rücksprache mit einem Verteidiger gehalten werden konnte gilt: Es sollten keinerlei Angaben zur Sache gemacht werden, nur zur Person. Es bleibt noch genügend Zeit, sich äußern. Widerstehen Sie der Versuchung, sich zu rechtfertigen und lassen Sie sich nicht zu Äußerungen überreden! Sofern die Ermittlungsbeamten bereits in der Praxis eingetroffen sind: Bitten Sie darum, dass das Eintreffen Ihres Verteidigers abgewartet wird. Ein Anspruch hierauf besteht zwar nicht, die Beamten werden diesem Wunsch aber regelmäßig entsprechen. Geben Sie nichts freiwillig heraus, sondern bestehen Sie auf einer Beschlagnahme. Widersprechen Sie der Beschlagnahme.

Ihr Strafverteidiger beim Vorwurf Abrechnungsbetrug

Rechtsanwalt Dr. Welf Kienle - Fachanwalt für Medizinrecht & Strafverteidiger in Koblenz

Dr. iur. Welf Kienle

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht